PKM – Parkour spirit
(by Giulio Hesse)
Einleitung
Zu oft wird Parkour in den Medien nur als ein neuer (Trend-) Sport oder Extremsport dargestellt. Viele Dokumentationen über Parkour zeigen waghalsige Sprünge und beeindruckende Bewegungen, haben aber auf inhaltlicher Ebene oft große Mängel, weil sie wesentliche Aspekte dieser Bewegungskunst vernachlässigen.
Im Folgenden findet ihr eine Beschreibung dessen, was das Team von Parkour Movement e.V. unter Parkour versteht. Unsere Inspirationen dafür sind die Lehre von David Belle bzw. der Yamakasi, das Training von Parkour Generations aus London und natürlich unsere eigenen Erfahrungen und Gedanken.
Es ist uns enorm wichtig, den Spirit (oder auch die sogenannte Philosophie) und die grundlegenden Ideen von Parkour zu vermitteln. Dieser ist für uns genauso wichtig, wie die Bewegungen an sich.
Training – Basics im Parkour
Zunächst ist Parkour eine Form von Training, bei der man darauf bedacht ist, die eigenen Bewegungsmöglichkeiten und -fähigkeiten auszubauen, körperliche wie mentale Grenzen zu entdecken und gleichzeitig Schritt für Schritt zu erweitern. Durch diszipliniertes Training kann man sowohl die physischen, als auch die psychischen Fähigkeiten individuell weiter entwickeln um sich in die Lage zu versetzen, selbst gewählte Hindernisse auf möglichst effiziente und ökonomische Art und Weise zu überwinden.
Präzision in den Bewegungen, Gleichgewichtsgefühl, Kraft und Körperbeherrschung bzw. Kontrolle zu schulen gehört genauso zum Parkour-Training, wie Verbesserung der Selbsteinschätzung, Selbstdisziplin, Konzentration und Ausdauer. Ein weiterer Bestandteil ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten mit dem Ziel diese zu überwinden.
Die Ebenen von Körper und Geist lassen sich beim Parkour nicht trennen. Ein Traceur sollte stets versuchen ein harmonisches Gleichgewicht all dieser Fähigkeiten auf beiden Ebenen anzustreben, um möglichst keine Lücken durch einseitiges Training zu hinterlassen. Einen dieser Aspekte zu vernachlässigen, z.B. weil man schneller weiter kommen will, ohne die Basics intensiv zu üben, kann sehr gefährlich sein und das Risiko für potenzielle Verletzungen erhöhen.
Für die Ausübung dieser Bewegungskunst braucht man eine gewisse Selbstdisziplin, starken Willen und manchmal viel Geduld. Es ist wichtig, sich selbst genug Zeit zu lassen, um Fortschritte zu machen – vor allem wenn man sich hohe Ziele steckt, sollte die Sicherheit immer im Vordergrund stehen. Dafür zahlt sich ein solcher Trainingsansatz oft genug aus: man wird stetig mit kleinen Fortschritten belohnt.
Parkour als Erkundung und Entdeckungsreise
1. Der Anfang:
Beim Parkour setzt jeder Traceur sich eigene Ziele und entscheidet individuell darüber, in welche Richtung die Reise gehen soll. Es gibt kaum Vorgaben oder Regeln, die man befolgen muss. Man könnte eher von Grundsätzen oder Prinzipien sprechen, die von der Community weitestgehend einheitlich anerkannt werden.
Natürlich sollte man sich am Anfang bestimmten Basics in Form von Grundlagentechniken widmen. Eine gesunde Einstellung zum Training (gerade im Punkt Sicherheit bzw. step-by-step Herangehensweise) und die Aneignung einer guten Körperbeherrschung ist essentiell um Parkour auf Dauer zu praktizieren, ohne seinem Körper dabei zu schaden – ganz nach dem Motto der Yamakasi: Etre et Durer (Sein und Bestehen).
2. Neuland in Sicht:
Wenn man anfängt Parkour zu trainieren, verändert sich die gesamte Wahrnehmung und der Blick für die Umgebung (dieses Phänomen wird auch vision genannt). Sobald man anfängt die Trainings-Umgebung spielerisch zu erkunden und der Kreativität freien Lauf zu lassen, kann man mit Leichtigkeit neue Wege entdecken und beschreiten. So gewinnt man automatisch eine neue Perspektive für sein Umfeld: wo vorher zum Beispiel Mauern, Geländer und Pöller zur Abgrenzung in der Gegend herumstanden, sieht man plötzlich einen urbanen Spielplatz voller Hindernisse, die es zu überwinden gilt. So kann man sich die Stadt auf eine neue Art und Weise selbst erschließen und individuelle Bewegungsmöglichkeiten entdecken.
Dabei ist wichtig, dass man der Umgebung und anderen Menschen im Umfeld mit Respekt gegenüber tritt. Denkt immer daran: jeder Traceur repräsentiert Parkour.
3. Der Weg ist das Ziel:
Beim Parkour ist im wahrsten Sinne des Wortes der Weg das Ziel. Jeder Traceur setzt sich zwar kleinere Etappen als Ziel (z.B. innerhalb einer Trainingseinheit oder innerhalb eines Monats), aber letztlich kann man niemals auslernen.
Das gilt auch für erfahrene Traceure. Die nächste Herausforderung ist nie weit entfernt und die Suche danach hält Traceure immer in Bewegung.
Wachsen an Herausforderungen
Parkour bedeutet an Herausforderung zu wachsen. Durch jede neue Herausforderung, der man sich als Traceur stellt (z.B. in Form eines neuen Sprungs, einer bestimmten Bewegung oder Bewegungsabfolge oder einer Anzahl an Wiederholungen), macht man Fortschritte. Man stößt durch neue Herausforderungen nicht nur an die eigenen Grenzen, sondern hat auch die Möglichkeit, diese Grenzen stetig zu erweitern.
Dabei beschäftigt man sich automatisch mit sich selbst, mit den Ängsten und Wünschen, denen man im Trainingsalltag begegnet (z.B. Höhenangst). So gesehen hat Parkour auch häufig mit der Entscheidung zu tun, die eigenen Ängste zu überwinden, ohne dabei den nötigen Respekt vor den Herausforderungen zu verlieren. Meistens hat es den Effekt, dass das Selbstbewusstsein gestärkt wird und man das Gefühl bekommt, die Lage und sich selbst besser unter Kontrolle zu haben.
Das sind genau die Aspekte von Parkour, die sich generell auf das Alltagsleben übertragen lassen. Man könnte Parkour auch als spielerische Methode oder Lebenseinstellung beschreiben, mit der man sich selbst besser kennen lernt, seine Fähigkeiten entwickelt und lernt mit selbst gewählter Verantwortung umzugehen.
Parkour bedeutet Freiheit
Parkour wird von vielen Traceuren auch mit einem starken Gefühl von Freiheit in Verbindung gebracht. Einerseits fühlt man sich frei während man sich flüssig und natürlich in der Umgebung (im eigenen flow) bewegt. Andererseits fühlt man sich auch befreit, weil man sich die Fähigkeiten erarbeitet, jegliche Form von Hindernissen zu überwinden um auf dem eigenen, individuellen Weg voran zu schreiten.
In gewisser Weise geht man beim Parkour abseits der Pfade, die allgemein vorgeschrieben und von der Gesellschaft anerkannt, akzeptiert und selten hinterfragt sind. Auch das kann dem Traceur ein Gefühl von Freiheit im Sinne der Unabhängigkeit vermitteln.
Bei diesem Punkt spielen natürlich auch Kreativität und die Offenheit für Neues eine wesentliche Rolle. Wer diese Qualitäten wertschätzt, wird es leicht haben, den eigenen Weg zu finden, sich selbst durch Bewegung auszudrücken und dadurch Freiheit zu verspüren.
Die Gemeinschaft / Community im Parkour
Trotz allem Fokus auf Individualität, sollte man doch eins nicht vergessen: Parkour wird meistens in einer Community bzw. in Gruppen praktiziert. Und wenn man für sich selbst weiter kommen will, ist man früher oder später auch auf andere bzw. auf die Gruppe angewiesen.
In diesem Sinne vertritt Parkour Movement e.V. die Meinung, dass der Zusammenhalt der Community zur Stärke der Bewegung beiträgt. Wir stehen für gemeinsames Training, freundschaftliches, respektvolles Miteinander, gegenseitige Inspiration und lehnen Wettkampf im Parkour grundsätzlich ab. Ein guter spirit innerhalb der Gruppe bzw. der Community ist sehr wichtig um sich gegenseitig zu motivieren, gemeinsam weiter zu kommen und Spaß zu haben.
Allgemeine Ergänzungen
In diesem Text beziehen wir uns auf die Disziplin Le Parkour – der Einfachheit halber Parkour genannt. Es gibt viele weitere Namen wie l’art du deplacement und Freerunning, die im Prinzip alle das Gleiche oder zumindest verwandte Phänomene beschreiben. Wir möchten hier noch mal betonen, dass der Name für uns nicht entscheidend ist, sondern viel mehr die Bewegungskunst, die sich dahinter verbirgt.
Unserer Auffassung nach gab es vor allem die Form der Bewegung bei dem, was man heute unter Parkour versteht, im Ansatz schon immer. Der Entstehungsmythos um David Belle, die von seinem Vater erlernte Méthode Naturelle und die darauf folgende Übertragung der Disziplin von der Umgebung in der Natur auf den urbanen Raum trägt natürlich zur Institutionalisierung und Verbreitung von Parkour bei. Aber letztlich gibt es die Form der Bewegung im Ansatz schon wesentlich länger.